Aufenthalt im Landjugendheim in Quedlinburg.

 
Meine Bekanntschaft mit Quedlinburg, war nicht gerade schön und herzlich, ich bin Jahrgang Sept. 1934 und kam im Sommer 1946 nach Quedlinburg.
Natürlich wurde ich durch eine Erzieherin dort abgeliefert, wo in Quedlinburg? Das weiß ich nicht mehr. Es war ein kleines aber sehr strenges Heim oder Erziehungsanstalt?
 
Zu der Zeit hatte ich keine Eltern und kam von Moschwig, bei Bad Schmiedeberg.
 
Mein Werdegang in Quedlinburg ist kurz erzählt: Wir waren nicht viele Jugendliche (10 oder 15) und hatten immer Hunger, es gab sehr wenig zu Essen, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern.
 
Es war kurz vor Weihnachten, da hatte es sich herum gesprochen, wenn jemand Zahnschmerzen vortäuschte, dann durfte er in die Stadt gehen, zu einem bestimmten Zahnarzt. Wir durften sonst nie in die Stadt. Ich meldete mich und durfte in die Stadt gehen. In der Stadt war alles schon weihnachtlich geschmückt und es roch nach Plätzchen und Kuchen.
 
Als ich an einem Bäckerladen vorbei kam, habe ich etwas zu Essen mitgehen lassen und als ich im Heim ankam, da wusste man schon Bescheid, denn der Bäcker wusste schon wo ich herkam, meine Jungvolk Winter-Uniform, hatte mich verraten.
 
Im Heim gab es im Keller neben dem Duschraum einen kleinen Verschlag unter der Steintreppe, der Raum war ca.2m X 3m bis 3,5m und hatte eine Tür zum abschließen, dort also wurde ich nach meiner Ankunft mit einer Matratze und einer Decke eingesperrt.
Es dauerte nicht lange da waren wir zu dritt, Richard LANGE, 14 Jahre alt, Rolf DEUTSCHMANN, 13 Jahre alt, und ich, Rolf SCHMIDT, 11,5 Jahre alt.
Dort waren wir nun eingesperrt über Weihnachten 1946, bekamen wohl zu Essen, wenn auch sehr wenig und die Zeit verging.
 
Ende Januar Anfang Februar, ist uns die Flucht gelungen. Draußen lag der Schnee und es war bitter kalt.
 
Aber das ist eine andere Geschichte, mich würde nun interessieren: Was war das für ein Haus oder Anstalt?
 

Freundliche Grüße aus der Seidenstadt Krefeld, Rolf Schmidt

 

 

Durch mehrere Umnummerierungen ist es möglich, das es sich auch um ein anderes Gebäude in dieser Straße handelt, aber mehrere alte Quedlinburger sind sich einig, das dieses das beschriebene Heim gewesen ist. Das Gebäude wird z.Z. von der Lebenshilfe GmbH genutzt. (Stand,Juli 2007)

 
Ein Chronist erzählt:
 
............Eine weitere große soziale Einrichtung finden wir an der jetzigen Stresemannstraße. Im Jahre 1901/02 wurde hier an der Bismarckstraße eine Erziehungsanstalt für verwahrloste und schwer erziehbare Kinder errichtet. Der Architekt dieses eindruckvollen Bauwerks war Max Schneck. Die Anstalt war nicht in städtischer Bewirtschaftung, sondern stellte eine Vereinsgründung dar. Das ganze Gelände war durch eine hohe Mauer umgeben, die teilweise mit Schmiedeeiserne Gitter versehen war und bis zur jetzigen Albert Schweitzer Straße reichte. Das Wohnhaus für den Leiter der Einrichtung wurde erst 1929 errichtet. Im Hauptgebäude wohnten im rechten Flügel die Knaben und im linken Flügel die Mädchen. Der Saal war 11 mal 8,55 m groß und wurde auch als Andachtssaal genutzt. Befragen wir ältere Leute zu der Anstalt, kommen nur mitleidige Worte für die dort untergebrachten Kinder über die Lippen. Es soll dort sehr streng und barsch zugegangen sein und die Kinder wurden geschlagen. Die Kinder mussten alle Anstaltskleidung tragen, für die Jungen ein Art bräunlicher Kordanzug mit einer Hose, die bis unter das Knie reichte, schwarze Strümpfe und hohe Schuhe. Im Sommer liefen alle Kinder barfuss. Die Mädchen hatten anstatt der Hose einen Rock an. Nach dem zweiten Weltkrieg lagen in diesem Gebäude sowjetische Soldaten. Später war in dem Gebäude das Harzjugendheim. Am 28. August 1949 wurde jedoch die Auflösung des Harzjugendheim beantragt. Das Gebäude wurde vom Bezirk Halle übernommen. Am 25. Mai ist dort das Institut für Lehrerbildung eingezogen.
 
 
Im Heim sind für das Jahr 1949 folgende Personen vermerkt:
 
  • Elfriede Branski             Erzieherin
  • Ruth Heinemann            Haushaltspraktikantin
  • Dorothea Kinne              Erzieherih
  • Rudi Knoll                     Erzieher
  • Erika Kriebitsch             Erziehungspraktikantin
  • Joachim Lange               Erzieher
  • Günter Müller                 Lehrer
  • Ursula Penne                 Erzieherin
  • Erich Roczek                Erziehungsdirektor
  • Emma Rohr                    Wäscherin
  • Helga Rosenhagen        Erzieherin
  • Dorothea Schroeder        Erzieherin
  • Klaus Thiel                    Erzieher
  • Hanna Träger                 Küchenleiterin

 

Hier noch ein kleiner Beitrag von Herrn Rolf Schmidt, wie die Geschichte - Weihnachten 1946 in Quedlinburg - weiter ging.

 
Im Heim angekommen, da wusste man schon bescheid und ich wurde eingesperrt. Im Keller war der Dusch- und Waschraum und daneben war noch ein kleiner Raum unter der Steintreppe, von ca. 2,5m x 3,0m.  In diesen Raum wurde ich eingesperrt, bekam eine Matratze, eine Decke und einen Eimer für die Notdurft.
Es dauerte nicht Lange, da waren wir zu dritt. Richard Lange 14 J. Rolf Deutschmann 13 J. Rolf Schmidt 12 J.  Da saßen wir nun und konnten über unsere Sünden nachdenken. Weihnachten ging vorbei und an uns dachte  keiner, ich glaube man hatte uns vergessen.
 
1947 es war Anfang Februar, da hörten wir ein Gespräch auf der Steintreppe über uns. Es war der Heimleiter und ein Russe. Es drehte sich um uns drei Jungs, so viel haben wir verstanden und das wir abgeholt werden sollten. Richard meinte, jetzt wird es Zeit das wir hier verschwinden. Er behielt einen Löffel, bei der Geschirrabgabe und bastelte daraus einen Dietrich. Das dauerte bis ca. 2°°Uhr in der Nacht, dann hatte er es geschafft und unsere Tür öffnete sich.
Nun mussten wir auch etwas zum anziehen haben, denn draußen lag ja Schnee und es war bitter kalt. Zum Glück befand sich neben dem Duschraum auch die Kleiderkammer und wir konnten uns sehr gut einkleiden. Es war die Jungfolk-Winter-Uniform, (Überfallhose, kurze Jacke und dicke Unterwäsche, Socken und derbe Schuhe mit Nägeln darunter), so Ausgerüstet machten wir drei uns auf den Weg nach draußen.
Wir mussten noch durch die Bibliothek, dort ein Fenster öffnen und in den Hof springen, ca. 2,5m, dann über den Eisenzaun auf die Strasse Springen, ca. 3,0m. Wir waren einige Strassen weit gelaufen, da schlug die Uhr, es war 3°°Uhr, jetzt mussten wir uns aber beeilen, dass wir aus Quedlinburg raus kamen, sonst werden wir wieder eingefangen.
 
Wir sind über den Ort Thale und kamen dann an einige Dörfer vorbei, immer Richtung Westen, da sind die Engländer und die Amerikaner, das wussten wir. Richtung Westen waren damals sehr viele Leute unterwegs. Die hatten Rucksäcke und Taschen dabei, jeder schleppte so allerlei Sachen mit sich herum, zum Tauschen bei den Bauern und zum Handeln für Lebensmittel. In den Geschäften gab es damals nicht viele Lebensmittel.
 
Die Grenze zum Westen musste in der Nähe sein, denn die Schieber und Schwarzhändler versteckten sich des öfteren, das viel uns auf und wir machten es ihnen nach und wenn die Luft rein war schlichen wir den Leuten hinterher. Der Abend kam, es wurde immer dunkler, auf einmal hatten wir den Anschluss verpasst und  wussten nicht weiter, wir waren auch müde geworden, vom herum Schleichen und immer auf der Hut sein.
Rechts und links an der Straße waren Straßengräben und auf der einen Seite lag ein großer Haufen langer Bäume, zum Abtransport bereit. Im Straßengraben unter den Bäumen lag kein Schnee und so krochen wir darunter und wollten uns Schlafen legen, aber es war so kalt, Richard meinte, wir sollten aufstehen und uns bewegen, sonst erfrieren wir. Wir konnten uns kaum bewegen, so steif waren wir.
Als wir auf der Straße entlang liefen, entdeckten wir im Wald ein Licht, Richard meinte, da gehen wir jetzt hin. Als wir dort ankamen, stand da eine Baracke ca. 2,5 m x 3,50 m mit einem kleinen Fenster und einem Ofenrohr, das qualmte. Langsam und leise schlichen wir um die Hütte und klopften an die Tür, es wurde geöffnet und zwei Russen mit Maschinenpistolen kamen rausgestürmt und brüllten etwas auf Russisch, fast hätten Sie uns erschossen, aber Sie erkannten den Irrtum und holten uns in die warme Hütte.
Darin  stand eine große Liege, ein Ofen und ein Stuhl. Sie gaben uns etwas zu Essen und zu Trinken und fragten uns, woher wir kämen und wohin wir wollten, dann durften wir uns auf die große Liege hinlegen und wir schliefen bis zum anderen Morgen. So ausgeruht, konnten wir den Weg Richtung Braunlage fortsetzen.
 

 

Ein Artikel aus dem Quedlinburger Kreisblatt 1927    

 

700 Jahre Johannis-Stiftung --- 60 Jahre Waisenhaus

 
Der plötzliche Tod des Herrn Pastor Machus, dem langjährigen Leiter des Johannis-Hospitals und Waisenhauses, erinnert daran, dass in diesem Jahr die milde Stiftung auf ein 700-jähriges Bestehen hätte zurückblicken können. Nach den im Quedlinburger Urkundenbuch vereinigten alten Urkunden wird die Stiftung zuerst 1229 unter der Äbtissin Bertrada als "Haus der Aussätzigen" (domus leprosorum extra civitatent) erwähnt, in dem nur kranke auf Kosten der Stiftung aufgenommen und verpflegt werden.
In dieser Urkunde bestätigt die Äbtissin einen Tausch zwischen dem Abt Simon des Klosters Michaelstein und dem Prokurator Eggehard Aussätzigenhauses zu Quedlinburg, wonach dem ersteren gegen 2 Hufen in Quarmbeck nebst 12 Mark und 1 Bierdung Halberstädtisch 2 Hufen Groß-Fallersleben übergeben werden. Die am Johannistage 1229 gegebene lateinische Urkunde befindet sich noch heute im Stadtarchiv zu Quedlinburg (Nr.182).
An farbigen Seidenschnüren hängen zwei wohlerhaltene große Siegel. Dieses ehrwürdige, außerordentlich gut erhaltene und klar geschriebene Schriftstück ist das einzige, aus diesem Jahr erhaltene.
 
Im Laufe der Jahrhunderte geht diese Stiftung, unterstützt durchreiche Vermächtnisse, aus einem Aussäßigen- und Siechenhause in eine Altersversorgungsanstalt, ein Hospital für solche Bewohner Quedlinburgs über, die durch Siechtum oder hohes Alter hilfsbedürftig geworden sind.
Seit dem 1.Juli 1869 übernahm das Johannishospital aus die städtische Waisenpflege. Das im Anschluss an das Hospitalgebäude mit 16608 Taler Kosten erbaute Hospitalwaisenhaus wurde am 16.August 1869 unter Beteiligung des Präsidenten und Departementsrates der Regierung feierlich eingeweiht. Das die Waisenpflege eigentlich regelnde Statut stammt vom 1.April 1871.
 
Die Grundsätze, die bei dem Hospital St. Johannis bezüglich seines Zweckes, seiner Verfassung und Verwaltung Anwendung fanden, die teils auf rechtsgültigen Observanzen, teils auf besonderen Festsetzungen der zuständigen Behörden beruhten, und zuerst in den Statuten vom 8. Juli 1857 beurkundet, Dann in der oben erwähnten Satzung von 1871 neu bestimmt und am 17. Dezember 1888 erneuert worden. Die Verwaltung erfolgt unter Oberaufsicht des Regierungspräsidenten, durch den Magistrat und den bestellten Stiftsverwalter, als welcher Pastor Machus seit 32 Jahren fungierte.
Die Stiftung verfügt über erheblichen Acker- und Parkbesitz; so brachte der erstere, Ende des 19. Jahrhunderts 21.485 Mark Ackerpachtvertrag von 195 Hektar 86 Ar Acker. Die Parkanlagen, der so genannte Vorwerksgarten,
 

Umfassten 40 Ar. Der Bismarkhain wurde 1867 als Park umgewandelt, 1892 bis 1895 erweitert (auf nahezu 4 Hektar) und dort 1895 der Bismarkturm mit 7.000 Mark Kosten errichtet.

 
Die Altersversorgungsanstalt St. Johannis gewährt unbescholtenen und unbemittelten Personen beiderlei Geschlechts im Alter von mindestens 40 Jahren gegen Zahlung einer bestimmten Summe freie Wohnung, geistige Pflege und gewisse Einkünfte (Pröben). So waren Ende des 19.Jahrhunderts 88 Hospitalstellen (davon 4 Freistellen) vorhanden; 36 waren Hauswohnungen mit Pröbe, 44 Kammerwohnungen mit Pröbe und 4 ohne Pröbe. Das Einkaufsgeld für eine Hauswohnung mit Pröbe betrug 360 Mark, für eine Kammerwohnung mit Pröbe 240 Mark, ohne Pröbe 90 Mark. Heute sind die Einkaufssätze etwas erhöht und die Verwaltung der verschiedenen Spitäler ist vereinigt. Die Anstaltskirche wird von der Stiftung erhalten.
 
Die Waisenanstalt, für zu Quedlinburg geborene oder mitansässige Kinder im wesentlichen bestimmt, hat viel Segen gestiftet. Nach der Konfirmation wurden die Knaben meist im Handwerk, die Mädchen im Dienst untergebracht. So manchem elternlosen Kinde ist das Johannis-Waisenhaus, das nunmehr 60 Jahre besteht, eine zweite Heimat geworden.
 
Der Heimgang von Pastor Machus wird von vielen seiner früheren Zöglinge, die heute sich in gesicherter Lebenslage befinden, tief betrauert werden.