Heinrich der Vogelsteller

 

Die Morgensonne zerriss den Nebelschleier, welcher sich auf Berge und Wald gelagert hatte. Bei dem Harzdorfe Quitlingen hatte diesen Morgen ein Vogelsteller sein Netz ausgespannt. Er freute sich der lachenden Sonne, die ihm half, die Vögel zu locken. Weniger indes behagte ihm das Pferdegetrappel, welches er plötzlich zu hören bekam.

 

"Die Gesellschaft verscheucht mir das ganze Federvolk" wetterte er in sich hinein.

 

Zu verhungern brauchte dieser Vogelsteller gerade nicht, wenn ihm auch alle Fänge missraten wären, denn er hatte gar vornehmes Herkommen und Einkommen. Es war Herzog Heinrich von Sachsen.

Sein Schelten half nicht, das sah er ein, und neugierig lugte er aus nach den Reitern. Woher? Wohin? So mochte er sich fragen.

 

Woher? Aus Fitzlar. Wohin? Zum Sachsenherzog Heinrich. Ein ganzes Fähnlein Reiter war es, das herankam.

Sie stiegen von den Pferden, nahten sich voll Erfurcht dem Herzog, und - indem sie ihm die Reichskleinodien übergaben - meldeten sie ihm, das er zum deutschen König gewählt sei.

Da freute sich der Herzog des guten Fanges, den er heute getan; denn er war ein gewaltiger Geist, und die große Aufgabe war ihm gerade recht, die ihm die Wahl gestellt. Die Ungarn, die damals oft einbrachen in das deutsche Land und es verwüsteten, haben den Heldenkönig und sein Schwert kennen gelernt und das Wiederkommen vergessen.

 

Der Vogelherd bei Quitlingen muss dem König lieb gewesen sein, denn er baute auf dem Berg daneben eine Burg, von welcher aus er den Finkenherd sehen konnte.

Quitlingen ist nachher die Stadt Quedlinburg geworden, und auch der Finkenherd ist von Häusern umgeben. - Finkenherd heißt er noch heute.

 

Wenn einer sagen will, hier sei nicht die Stelle, wo Heinrich die Botschaft empfang, der mag nur alte Quedlinburger fragen, denen haben`s  die Urgroßmütter erzählt und die wussten es ganz genau.

 

 

Ein Gedicht von J. N. Vogl

 

  Herr Heinrich sitzt am Vogelherd
Recht froh und wohlgemut;
Aus tausend Perln blinkt und blitzt
Der Morgenröte Glut.
 
In Wies und Feld und Wald und Flur
Horch, wie ein süßer Schall!
Der Lerche Sang, der Wachtel schlag,
Die süsse Nachtigall!
 
Herr Heinrich schaut so fröhlich drein:
"Wie schön ist heut die Welt!
Was Gibts? Heut gits`nen guten Fang!"
Er lugt zum Himmelszelt.
 
Er lauscht und streicht sich von der Stirn
Das blondgelockte Haar
Ei doch, was sprengt denn dort herauf
Für eine Reiterschar?
 
Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt,
Es naht der Waffen Klang.
"Das Gott!  Die Herrn verderben mir
Den ganzen Vogelfang.
 
Ei nun! was gibts?" - Es hält der Tross
Vorm Herzog plötzlich an.
Herr Heinrich tritt hervor und spricht:
"Wen sucht ihr da? Sagt an!"
 
Da schwenken sie die Fähnlein bunt
Und jauchzen: "Unsern Herrn!
Hoch lebe König Heinrich, hoch,
Des Sachsenlandes Stern!"
 
Dies rufend knien sie vor ihm hin
Und huldigen ihm still
Und rufen, als er staunend fragt:
S´ ist Deutschen Reiches Will`!"
 
Da blickt Herr Heinrich tief bewegt
Hinauf zum Himmelszelt:
"Du gabst mir einen guten Fang!
Herr Gott wie dir`s  gefällt!"